Kleve kann Schulfrieden machen

Die Stadt Kleve, die Bezirksregierung, das Beratungsunternehmen Garbe sowie die grüne Landtagsabgeordnete Sigrid Beer informierten im Rahmen der geplanten Elternbefragung zur Schulpolitik.


Die Stadt Kleve organisierte eine informative Veranstaltung: Sekundarschule und Gesamtschule laufen beide als Ganztagsschule – und wären beide nebeneinander möglich. Infos zu den Schulformen im Text.  Foto: Heinz Holzbach, NRZ

Etwa 650 Eltern drängten Dienstagabend in die proppevolle Mehrzweckhalle Materborn. Die Zukunft ihrer Kinder steht auf dem ernsten Spiel. Eine sehr gute Veranstaltung hatte die Stadt Kleve organisiert. Viele Informationen wurden in über drei Stunden von mehreren Seiten beleuchtet. Ab heute bis Sonntag kreuzen Klever Eltern auf Fragebögen an, welche weiterführende Schulform sie für ihre Grundschulkinder wollen.  
Fest steht: Egal ob Sekundarschule oder Gesamtschule – beide werden nur als Ganztagsschule genehmigt werden (entgegen städtischer Info-Post). Denn: „Längeres gemeinsames Lernen braucht Zeit“ fürs „Lernen miteinander und von einander“, so Sigrid Beer als Vertreterin der Landesregierung. Beide Schulformen lassen den Kindern über die vierte Klasse hinaus die Möglichkeit, sich weiter gemeinsam zu entwickeln.

Auf mehrere Nachfragen von Eltern kam ihre deutliche Antwort auf Kleves finanzielle Bedenken: „Ich glaube, dass Platz ist für vieles nebeneinander, dass man Gesamtschule und Sekundarschulen hinkriegen kann“, so Beer.
Beer kommentierte die Mahnungen des Klever Auftrags-Gutachters Dr. Detlef Garbe. „Sie sprechen mir zu viel von ‘Gefährdung’ statt von ‘Chancen’ und vom ‘Zuschieben des Schwarzen Peter’ statt von ‘stärkenden Gestaltungs-möglichkeiten’.“ Beer begrüßte, dass es nach dem Landes-Schulkonsens nun eine erneute Elternbefragung gibt und lobte die Lösungssuche der drei Bürgermeister. Das große Ziel sei jetzt, „gemeinsam den Schulfrieden zu machen, auch hier in Kleve“.

Ausführliche Datenanalyse

Dr. Garbe hatte ausführlich seine Datenanalyse vorgestellt (s. unten): „Wenn Sie mich fragen, ich würde drei Sekundarschulen wählen“, schloss er. Denn eine Gesamtschule gefährde seiner Ansicht nach zwar nicht die Realschulen und Gymnasien, schwäche sie aber und sei ein Problem für die Hauptschulen. „Und die Kosten einer Gesamtschule liegen bei der Stadt. Bei der Sekundarschule werden sie auf alle Schultern verteilt“ (auch Bedburg-Hau und Kranenburg). Die Sekundarschule sei Schule ohne Oberstufe und stärke darum die Gymnasien und das Berufskolleg. Bedburg-Hau und Kranenburg behielten ihre weiterführende Schule.

Sigrid Beer: „Haben Sie keine Angst vor einer zusätzlichen Oberstufe. Das brauchen Sie, um ein attraktiver Wirtschaftsstandort zu sein. Das ist doch gut.“ Und mit Blick auf die Abiturquote im Kreis Kleve: „Da haben Sie noch ein bisschen Aufholbedarf“ (vorletzte Stelle landesweit).
 
Der Experte der Bezirksregierung, Heinz Gniosko, erklärte, dass nicht nur sinkende Kinderzahlen, sondern auch das veränderte Wahlverhalten der Eltern in den letzten zehn Jahren den Hauptschulen 47 Prozent weniger Schüler brachte, den Realschulen -18,6 %, Gymnasien -5 %, Gesamtschulen blieben unverändert. „Eltern wollten sichtbar höhere Schulabschlüsse und lange offen gehaltene Chancen“ und neben dem verkürzten G8-Abitur der Gymnasien einen neunjährigen Bildungsgang.
Das böte die Gesamtschule durchgehend und die Sekundarschule durch verlässlichen Kooperationspartner – das wären entweder ein bestimmtes Gymnasium oder das Berufskolleg oder eine andere Gesamtschule. Die drei Jahre Oberstufe sind in allen drei Schulformen gleich (Gymnasium Klasse 10-12 entspricht Gesamtschule und Kolleg 11-13). Für guten Kontakt sei stundenweise Personaltausch zwischen Gymnasial- und Sekundarlehrern erwünscht.

Die Zahlen richtig interpretieren

Pro Grundschuljahrgang werden 600 bis 700 Fragebögen verteilt. Man rechnet mit 70 bis 80 Prozent Rücklauf. Wenn es ein deutliches Signal pro Realschule gebe, könne man ihren Bestand konsequent mit einplanen.
Erwähnt wurde allerdings auch, das die erfragte Elternmeinung nur ein Punkt von mehreren sei, den der Rat zur Entscheidung brauche. Die Geldfrage wird wichtig. Bei der Gründung von Sekundarschulen zahlen Kranenburg und Bedburg-Hau mit, eine Gesamtschule müsste Kleve tragen.

Mit der Auszählung der Fragebögen hat die Stadt das Gutachterbüro Garbe beauftragt. Aber bei der Deutung der Zahlen kündigte die Bezirksregierung ihre Mitwirkung an: „Mit Rat und Tat, um die Ergebnisse richtig zu interpretieren“.

Zeitplan:

gemeinsamer Schulausschuss der drei Kommunen 9.12., Rat Kleve 14.12. Eckdaten fürs Konzept bis 31.12. bei der Bezirksregierung auf dem Tisch. Bis zu den Sommerferien Konzeptplanung im Detail durch Klever Pädagogen. Sigrid Beer riet, andere Schulen, Schulentwicklungsberater und Eltern in Workshops einzubinden. „Es kann eigentlich nur gut werden. Der Zukunftsaufgabe kann sich eigentlich niemand verweigern“.

Dr. Detlef Garbe hatte folgendes Szenario vorgerechnet: Im Laufe der nächsten fünf Jahre gehen so viele Viertklässler von den Klever Grundschulen ab, dass 16 bis 18 fünfte Schuljahre gefüllt werden, plus vier bis fünf aus Bedburg-Hau und vier aus Kranenburg. Wenn eine Gesamtschule gegründet würde, käme sie bei theoretischen Übergangsquoten von 35 Prozent Hauptschülern, 40 Prozent Realschülern und 15 Prozent Gymnasiasten auf 185 Gesamtschüler. Die Realschule Hoffmann-Allee behielte 70 Schüler (heute 140), Karl-Kisters-Realschule statt jetzt 100 dann 60 Kinder. Das Gymnasien Konrad-Adenauer hätte statt 90 dann 70 Pennäler, das Freiherr-vom-Stein statt 113 dann 85 Kinder. (In Gymnasien ist die Sek-I-Zeit verkürzt. Man kann sie nicht mehr mit mittlerer Reife, sondern zwischendrin nur ohne Abschluss verlassen).

Gesamtschule:

– 25 Schüler pro Klasse
– plus 20 Prozent Lehrkräfte wegen Ganztagsschule
– zweite Fremdsprache ab Klasse 6 oder Klasse 8
– Klasse 7 bis 10 Fach-Leistungs-Differenzierung
– eigene Oberstufe (entsprechend dem Gymnasium)
– zentrale Abschlussprüfungen: Klasse 10A, 10B und
  Abitur-Prüfung
– mindestens vier Parallelklassen zur Gründung nötig
– Teilstandorte Bedburg-Hau und Kranenburg kaum möglich (nur ohne
   Fachdifferenzierung)

Sekundarschule:

– 25 Schüler pro Klasse
– plus 20 Prozent Lehrkräfte wegen Ganztagsschule
– zweite Fremdsprache ab Klasse 6 oder Klasse 8
– Klasse 7 – 10 Leistungs-Differenzierung
– zentrale Abschlussprüfungen Klasse 10A, 10B
– keine Oberstufe, aber Kooperation mit Gymnasium oder Berufskolleg oder   
  Gesamtschule
– mindestens drei Parallelklassen zur Gründung nötig
– Teilstandorte in Bedburg-Hau und in Kranenburg möglich

Astrid Hoyer-Holderberg, NRZ online16.11.2011 

Die Mehrzweckhalle Materborn war rappelvoll. – Foto: Thomas Velten

Infos:

Die Unterlagen zur Befragung der Eltern finden Sie hier